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Thomas von Kempen

(geb. 1379, gest. 1471)



GEDANKEN UND LEBENSWEISHEITEN




THEMEN

Von der Freude des guten Gewissens
Vom inneren Frieden
Vom Frieden mit dem Nächsten
Von der Selbsterkenntnis und der Selbstüberwindung
Vom Eigennutz der menschlichen Natur
Vom Kampf gegen seine Fehler
Vom Ertragen der Fehler anderer
Vom demütigen Selbstgefühl
Vom Nutzen der Widerstände
Von den Versuchungen
Von den guten Vorsätzen
Vom Umgang mit den Menschen
Von der Wissensbegierde
Von der Leichtgläubigkeit
Von der Einsamkeit
Von der Behütung des Mundes
Von der Wirkung der Worte
Vom Schweigen
Von den Werken aus Liebe
Von der Betrachtung des Todes
Vom strengen Gericht Gottes
Vom ewigen Lobe Gottes

VON DER FREUDE DES GUTEN GEWISSENS

Das Heil des guten Menschen ist das Zeugnis seines guten Gewissens.

Habe ein gutes Gewissen, und du wirst immer Freude haben.

Ein gutes Gewissen kann viel ertragen und ist auch im Unglück noch froh.

Ein schlechtes Gewissen ist immer furchtsam und ruhelos.

Sanft wirst du ruhen, wenn dein Herr dich nicht tadelt.

Sei nicht fröhlich, außer wenn du Gutes getan hast.

Wie jemand innerlich ist, so urteilt er nach außen hin. Wenn Freude in der Welt ist, so hat sie gewiß nur das reine Herz. Und wenn irgendwo Trübsal und Angst ist, so kennt das schlechte Gewissen sie am besten.

Die Bösen haben niemals wahre Freude, noch fühlen sie inneren Frieden.

Die Sicherheit der Schlechten aber entsteht aus ihrem Stolz und ihrer Anmaßung und verkehrt sich am Ende in Selbsttäuschung.

Der Ruhm der Guten ist in ihrem Gewissen und nicht im Munde der Menschen. Große Ruhe des Herzens ist dem eigen, der sich weder um Lob noch um Tadel kümmert. Leicht wird zufrieden und besänftigt sein, dessen Gewissen rein ist. Du bist nicht heiliger, wenn du gelobt, nicht schlechter, wenn du getadelt wirst. Was du bist, das bist du; und du kannst nicht besser genannt werden, als du vor Gottes Zeugenschaft bist.

Wenn du darauf achtest, was du in deinem Inneren bist, kümmert es dich nicht, was die Menschen über dich reden.

Der Mensch sieht, was in deinem Gesicht ist, Gott aber, was in deinem Herzen ist. Der Mensch sieht die Taten, Gott wägt die Gesinnungen.

Trachte stets, gut zu handeln, und du wirst in gutem Frieden leben. Nicht wird dir das Böse der Schlechten schaden, wenn du fest auf dem geraden Wege der Gerechten bleibst.

Oft wäschst du die Hände und das Gesicht, damit du den Menschen nicht mißfallest. Viel mehr wasche dein Gewissen von Lastern rein, damit du Gott und den Engeln gefallest, die in die verborgenen Tiefen des Herzens schauen.



VOM INNEREN FRIEDEN

Viel Frieden könnten wir haben, wenn wir uns nicht mit den Worten und Werken anderer, die uns nichts angehen, beschäftigen wollten.

Wer innerlich wohl gerichtet und geordnet ist, kümmert sich nicht um wunderliche und verkehrte Handlungen der Menschen.

Wenn es dich freut, bisweilen Neues zu hören, mußt du auch die Unruhe des Herzens in Kauf nehmen.

Der Innerliche sammelt sich rasch; denn niemals gibt er sich ganz dem Äußerlichen hin.

Sohn, sei nicht neugierig, und hege nicht leere Sorgen!

Was geht es dich an, ob jener so oder so beschaffen ist, oder dieser so oder so handelt oder redet?

Kümmere dich nicht um den Schatten eines großen Namens, nicht um die Beliebtheit vieler bei der Masse! Denn das erzeugt Zerstreuungen und große Verfinsterung des Herzens.

Manche scheinen in gutem Frieden zu sein, so lange die Dinge nach ihrem Wunsch und Willen geschehen. Wenn es aber anders kommt, als sie es wünschen, augenblicklich werden sie erschüttert und traurig.

Sohn, danach sollst du sorgfältig streben, daß du an allen Orten und bei jeder Handlung oder äußeren Beschäftigung im Inneren frei und deiner selbst mächtig bist. Und alles sei unter dir und du nicht unter ihm, damit du Herr und Lenker deiner Handlungen, nicht aber ihr Sklave und Söldner seiest.

Wenn wir uns Mühe gäben, wie tapfere Männer im Streite auszuharren, würden wir gewiß die Hilfe Gottes vom Himmel her über uns sehen. Denn er, der uns Gelegenheiten zum Kampfe bietet, damit wir siegen, ist auch bereit, den Streitenden zu helfen.

O wenn du bemerktest, wie großen Frieden du dir und welche Freude du andern dadurch bereiten würdest, daß du dich selbst wohl verhältst, ich glaube, du würdest um deinen seelischen Fortschritt besorgter sein.

Glücklich, wer von sich abstreift, was das Gewissen beflecken oder belasten könnte!

Wenn du nichts anderes als das Gott Wohlgefällige und dem Nächsten Nützliche erstrebst und suchst, wirst du die innere Freiheit genießen. Großer Friede wird dem zuteil, der Gutes tut und Gutes redet, niemandem Schaden zufügt und auf der Hut ist vor bösen Wegen und schlechten Gedanken.

Wo Verwirrung sich breit macht, weicht der Friede schnell aus dem Hause.

Dein Friede sei nicht im Munde der Menschen. Ob sie gut oder schlecht von dir denken, du bist darum kein anderer Mensch.

Wer nicht darauf ausgeht, den Menschen zu gefallen, noch wer fürchtet, ihnen zu mißfallen, wird großen Frieden genießen.

Traue nicht dem Gefühl, das jetzt in dir ist! Schnell wird es sich in ein anderes verwandeln. Mein Sohn, oft betreibt der Mensch eine Sache, die er wünscht, mit Heftigkeit. Aber wenn er sie erreicht hat, beginnt er anders zu fühlen. Denn die Neigungen sind nicht gleichmäßig und von Dauer, sondern treiben von einem zum anderen. So lange du lebst, bist du, auch wenn du es nicht willst, der Wandelbarkeit unterworfen, sodaß du bald fröhlich, bald traurig, bald beruhigt, bald verwirrt, jetzt eifrig, jetzt nachlässig, jetzt ernst und dann wieder leichtfertig befunden wirst.

Über dieser Veränderlichkeit aber steht der Weise und im Geist wohl Belehrte. Er richtet sein Augenmerk nicht darauf, was er in sich fühlt oder aus welcher Richtung der unstete Wind weht, sondern daß die ganze Anspannung seines Geistes zu dem gebotenen und erwünschten Ende führe.

Je reiner aber das Auge der Gesinnung ist, um so standhafter wandelt man durch die mannigfältigen Stürme.

Noch, o Schmerz, lebt in mir der alte Mensch. Noch begehrt er heftig auf gegen den Geist, erregt innere Kämpfe und duldet nicht, daß das Reich der Seele ruhig sei.

Aber Du, der Du der Gewalt des Meeres gebietest und das Tosen der Wellen besänftigst, erhebe Dich und stehe mir bei! Zerstreue die Völker, die Kriege wollen, und schmettere sie nieder mit Deiner Kraft!

Zeige, ich bitte Dich, Deine Größe, und möge gerüstet werden Deine Rechte! Denn es gibt keine andere Hoffnung noch Zuflucht für mich, außer bei Dir, Herr, mein Gott.

Du machst das Herz still, den Frieden groß und die Freude festlich.



VOM FRIEDEN MIT DEM NÄCHSTEN

Es ist nichts Großes, mit guten und feinen Menschen umzugehen. Denn das gefällt von Natur aus allen. Und jeder hat gern Frieden und liebt mehr die ihm Gleichgesinnten.

Aber mit harten, verkehrten und ungezügelten oder gar uns widerstrebenden Menschen in Frieden leben zu können, ist eine große Gnade und ein sehr lobenswertes, mannhaftes Werk.

Es gibt Leute, die sich selbst in Frieden halten und auch mit anderen Frieden haben. Es gibt ferner Leute, die weder selbst Frieden haben noch andere in Frieden lassen. Endlich gibt es Leute, die sich selbst nur mit Mühe in Frieden halten, andere hingegen zum Frieden zurückführen wollen.

Freue dich mit den Guten; ertrage die Bösen! Leide mit den Schwachen! Verzeihe den Übeltätern!

Wirf von dir schlimme Traurigkeit, die dir ein mürrisches Wesen und Groll bereitet! Ein gutes Leben verdient Lob. Ein lauer Umgang ist sich selbst und den anderen lästig.

Es tut not, daß du lernst, dich selbst in vielem zu brechen, wenn du Frieden und Eintracht mit anderen halten willst.

Wo Treue und Wahrheit, da ist verlässiger Friede. Wo Hinterlist und Nichtsnutzigkeit, da ist törichtes Denken und blinde Klugheit. Wo leicht Verdacht aufkommt, da ist häufige Entrüstung.

Wegen der Verschiedenheit der Gefühle und Ansichten entstehen oft genug Uneinigkeiten zwischen Freunden und Mitbürgern. Von alter Gewohnheit läßt man schwerlich ab, und über seinen eigenen Gesichtskreis läßt sich niemand gern hinausführen.

Willst du ertragen sein, ertrage auch die anderen! Wer wohl in Frieden ist, hat keinerlei Argwohn. Wer dagegen schlecht zufrieden ist und sich leicht erregt, wird vom Argwohn gehetzt. Weder selbst hat er Ruhe, noch läßt er andere in Frieden. Er sagt oft, was er nicht sagen sollte, und unterläßt, was ihm zu tun förderlich ware.

Er sieht auf das, was andere tun sollten und vernachlässigt, was er selber zu tun hätte.

Habe also zuerst Eifer bezüglich deiner selbst; dann magst du dich auch über deinen Nächsten ereifern.

Du weißt wohl deine eigenen Handlungen zu entschuldigen und zu beschönigen. Aber die Beschuldigungen von anderen willst du nicht annehmen.

Gerechter wäre es, dich selber zu beschuldigen, deinen Bruder aber zu entschuldigen.

Der Hahn, bevor er kräht, schlägt sich zuerst mit den Flügeln und regt sich an. So muß auch ein guter Bruder sich selbst zunächst bessern, bevor er einen anderen zurechtsetzt.

Dreistes und geschwätziges Verhalten ist beides tadelnswert. Sie wahren nicht das rechte Maß.

Viele Starke sind gefallen, weil sie zu sehr auf sich selbst vertrauten. Viele Schwache sind stark geworden, weil sie auf Gott hofften und ihn anriefen. Der Demütige und Sanfte macht sich allen liebenswert. Der Gestrenge und Harte stößt von sich, die ihm nahen. Es überwindet seine Widersacher der geduldige Schweiger durch Willfährigkeit und Liebe. Es vermehrt seine Freunde, wer bereitwillig anderen dient und mit den Betrübten leidet. Wer nicht zu schweigen versteht, wenn es an der Zeit ist, beschämt sich vor vielen. Habe Sorge um einen guten Namen. Ein gutes Leben verschafft einen guten Ruf. Wer sich schlecht regiert verliert ihn. Dagegen erwirbt einen neuen Namen, wer üble Gewohnheiten aufgibt. Aber stelle dich nicht besser als du bist! Wo Friede und Eintracht, da ist Gott und alles Gute. Wo Streit und Zwietracht, da ist der Teufel und alles Böse.



VON DER SELBSTERKENNTNIS UND DER SELBSTÜBERWINDUNG

Das ist die höchste und nützlichste Wissenschaft, sich selbst in Wahrheit zu erkennen.

Es gibt kaum einen Tag oder eine Nacht, eine Stunde oder auch nur einen Augenblick, da der Mensch nicht in irgend etwas irrte.

Wir können uns selbst nicht allzusehr trauen, weil uns oft die Gnade und die Einsicht mangelt. Jeder Vervollkommnung in diesem Leben haftet eine gewisse Unvollkommenheit an. Und jegliches Bemühen entbehrt nicht einer gewissen Blindheit.

Nur ein mäßiges Licht ist in uns, und das verlieren wir schnell durch Nachlässigkeit.

Oft handeln wir schlecht und entschuldigen uns noch schlechter. Von Leidenschaft werden wir bisweilen bewegt und halten es für Eifer. Geringes schon tadeln wir an anderen, und unsere größeren Fehler übersehen wir.

Wer hat einen härteren Kampf zu bestehen als der, der sich selbst besiegen will! Und nur das sollte unsere Lebensarbeit sein, nämlich sich selbst besiegen, täglich durch sich selbst stärker werden und irgendwie zum Besseren voranschreiten.

Auf dich selbst richte die Augen und hüte dich, anderer Handlungen zu beurteilen! Wer andere richtet, handelt nutzlos, irrt häufiger und sündigt leicht. Wer jedoch sich selber erforscht und richtet, leistet fruchtbringende Arbeit.

In dem Maße, wie uns eine Sache am Herzen liegt, beurteilen wir sie meistens auch. Das richtige Urteil verlieren wir leicht aus Eigenliebe. Oft ist etwas in unserem Inneren verborgen, oder es kommt auch von außen herzu, was uns gleich stark vom rechten Urteil abzieht.



VOM EIGENNUTZ DER MENSCHLICHEN NATUR

Sohn, achte sorgsam auf die Regungen deiner Natur!

Alle zwar erstreben das Gute, und irgend etwas Gutes geben sie in ihren Reden und Handlungen vor. So werden vom Schein des Guten viele getäuscht. Die Natur ist schlau; sie lockt, umgarnt und betrügt viele und hält sich selbst immer für den Endzweck.

Sie wünscht anerkannt zu werden und zu tun, woraus Lob und Bewunderung entspringt.

Sie ist begehrlich und nimmt lieber, als sie gibt. Sie liebt das Eigene und Private. Sie tut alles um des Gewinnes und des eigenen Vorteils willen. Nichts kann sie umsonst tun; sondern sie hofft entweder auf Gleiches oder Besseres und Lob oder Gunst für ihre guten Taten; und sie begehrt, daß ihre Handlungen und Geschenke hoch angeschlagen werden.

Die Natur bezieht alles auf sich. Für sich streitet und rechtet sie.

Sie freut sich über viele Freunde und Verwandte, rühmt sich vornehmen Standes und edler Herkunft, lächelt den Mächtigen zu, schmeichelt den Reichen und klatscht Beifall denen, die ihr ähnlich sind.

Sie geht darauf aus, Geheimes zu wissen und Neues zu hören. Sie will nach außen hin in Erscheinung treten und vieles durch die Sinne erfahren.

Viele suchen heimlich sich selbst in den Dingen, die sie betreiben, und wissen es nicht.

Selbstliebe ist Selbstschädigung.

Wo selbstsüchtiges Verlangen, da fehlt es an der Liebe.



VOM KAMPF GEGEN SEINE FEHLER

Viele fangen an; wenige schreiten fort; und nur ganz wenige gelangen zur Vollkommenheit. Sie ist ein seltener Vogel.

Wenn wir in jedem Jahre einen Fehler ablegten, würden wir bald vollkommene Menschen sein.

Aber an die Wurzel laßt uns die Axt legen, damit wir, von Leidenschaften gereinigt, den Frieden des Herzens besitzen.

Wenn wir im Anfang nur ein wenig Gewalt anwendeten, würden wir später alles mit Leichtigkeit und Freude vollbringen können.

Schwer ist es, Gewohntes aufzugeben, schwerer noch, gegen den eigenen Willen anzugehen. Aber wenn du das Geringe und Leichte nicht überwindest, wann wirst du Schwereres besiegen? Widerstehe im Anfang deiner Neigung und verlerne die schlechte Gewohnheit, damit sie dich nicht nach und nach in größere Beschwernis führe. Sie wird durch gute Gewohnheit überwunden. Und die gute Gewohnheit verwandelt sich zu guter Letzt in Natur, so daß alles, was zunächst schwer war, hernach leicht ausführbar erscheint.

Glut wird durch Glut besiegt, ein Stift durch einen Stift hinausgetrieben, Ausgelassenheit durch Ernst gebannt.

Jede Tugend hat ein ihr anhaftendes Gutes und erquickt den wohl Handelnden.

Der ist stark an Kräften, der den Lastern tapfer widersteht.

Ein großer Herr ist, wer sich nicht von seinen niedrigen Lüsten beherrschen läßt.

Wer lasterhaft handelt, verursacht sich ein schlimmes Ende. Er verliert die Ehre, zerstört die Ruhe, findet Schmerz, vermehrt die Trübsal und büßt den Geschmack am Guten ein.

Wer das Schlechte nicht hört und das Eitele nicht sieht, vermeidet beides leichter.

Wer sich dem Erlaubten fernhält, ist sicherer vor dem Unerlaubten.

Wer des Hundes Zunge fesselt, braucht den Biß nicht zu fürchten.

Die Behütung der Sinne ist die Ursache der Reinheit, die Schule des Friedens, die Kammer der Demut.

Keiner ist dir ein schlimmerer Feind, als du selbst, wenn du heftig erregt bist.

Sobald der Zorn in das Gemüt eindringt, weicht die Weisheit von dem Klugen zurück.

Wer jähzornig redet, gleicht einem bellenden Hunde. Wer aber milde antwortet, bricht die Aufwallung des Zorns und reicht dem Betroffenen Rosen statt Dornen.

Gepriesen sei die Zunge des Klugen, welche die Wunden des Zürnenden heilt.

Ein großer Vorgesetzter ist, wer sich tugendhaft regiert und den Untergebenen ein gutes Beispiel gibt.

Der ist des Lobes der Guten würdig, der sich bemüht, ihren Tugenden zu folgen.

Vornehm und frei geboren ist, den seine Tugend adelt.

Schön ist der Mann, der rein ist von Sünde. Ein Schlechter ist innerlich häßlich, wenn er sich auch nach außen hin schmückt.



VOM ERTRAGEN DER FEHLER ANDERER

Bemühe dich, im Ertragen der Fehler und Schwächen anderer geduldig zu sein!

Reichlich schnell fühlen und wägen wir, was wir von anderen ertragen müssen; aber wie Vieles die anderen von uns zu erdulden haben, bemerken wir nicht.

Wenn du schon dich selbst nicht zu dem machen kannst, was du zu sein wünschest, wie wirst du dann einen anderen nach deinem Wohlgefallen umwandeln können!

Wir wollen gern andere vollkommen haben, und dennoch verbessern wir unsere eigenen Fehler nicht.

Wir wünschen, daß andere streng zurechtgewiesen werden; aber wir selbst wollen unangerührt bleiben.

Uns mißfällt die allzu große Freiheit anderer; und dennoch wollen wir nicht, daß uns versagt werde, was wir erbitten.

Andere wollen wir durch Gebote eingeschränkt wissen; und wir selbst dulden in keiner Weise, daß man uns weiter behindere. So ist also offenbar, wie selten wir den Nächsten so wie uns selber wägen.

Nun hat aber Gott es so angeordnet, daB wir lernen, einer des anderen Lasten zu tragen. Denn keiner ist ohne Fehler, keiner ohne Last. Keiner genügt sich selbst, und keiner ist sich selbst weise genug; sondern wir müssen uns gegenseitig ertragen und trösten, helfen, unterweisen und ermahnen.

WievielTugend aber jemand besitzt, das zeigt sich am besten im Mißgeschick.

Denn Widerwärtigkeiten machen den Menschen nicht gebrechlich, sondern sie zeigen, wer er ist. O lieber Bruder, trage, und du wirst getragen werden; entschuldige, und du wirst entschuldigt werden. Habe Mitleid mit dem Sünder, und man wird auch mit dir Mitleid haben. Tröste den Trauernden, und du wirst von dem getröstet werden, der in Freuden ist. Richte auf den Fallenden, und mit Gottes Hilfe wirst auch du aufgerichtet werden. Wie du dem anderen tust, so wird auch dir getan werden. Gott ist ein gerechter Richter und Rächer. Wundere dich nicht, noch entrüste dich, wenn ein gebrechlicher Mensch in der Welt zu Fall kommt. Ein Engel fiel im Himmel, und Adam wurde im Paradiese von einem kleinen Apfel überwältigt.

Oft ist es ein gar kleines Ding, durch das der Mensch in seinem Innern heftig versucht oder auch von einem andern geplagt wird. Gott läßt es mit Recht zu, daß du, wenn du Kleines nicht zu uberwinden vermagst, auch Größeres nicht besiegen kannst.

Niemand kann einem anderen seine Fehler vorwerfen, wenn er sich selbst vernachlässigt. Denn wenn jemand einen Fehlerhaften verachtet, verhöhnt ein Blinder einen Blinden, schmäht ein Tauber einen Tauben und verlacht ein Dummer einen Dummen. Wenn du recht urteilst und den Nächsten bessern willst, fange bei dir selber an! Jeder ist dem anderen entweder eine duftende Rose oder ein stechender Dorn.



VOM DEMÜTIGEN SELBSTGEFÜHL

Von sich selbst nichts halten und von anderen stets gut und hoch denken, das ist große Weisheit und Vollkommenheit.

Wenn du einen anderen offen sich verfehlen oder irgend etwas Schweres begehen sähest, dürftest du dich dennoch nicht für besser halten, weil du doch nicht weißt, wie lange du im Guten beharren kannst. Wir alle sind gebrechlich, aber niemanden sollst du für gebrechlicher halten, als dich selbst.

Wahrhaft groß ist, wer in sich klein ist.

Wo Demut, da Weisheit; wo Stalz, da ist die Wurzel der Bosbaftigkeit. Überwinde den Stolz, und du wirst großen Frieden haben!

Rühme dich nicht deines Reichtums noch deiner Freunde! Überhebe dich nicht der Größe und Schönheit deines Körpers wegen, der durch eine geringe Krankheit entstellt oder zerstört wird.

Habe keinen Gefallen an deiner Geschicklichkeit oder an deinem Verstand, auf daß du nicht Gott mißfallest, von dem alles kommt, was immer du von Natur Gutes hast.

Halte dich nicht für besser als andere, daß du nicht etwa vor Gott schlechter dastehst, der weiß, was in dem Menschen ist.

Sei nicht stolz auf deine guten Werke, da die Urteile Gottes anders sind als die der Menschen. Ihm mißfällt oft, was den Menschen gefällt.

So oft ein Mensch etwas ungeordnet begehrt, wird er sogleich in sich unruhig. Der Überhebliche und Habsüchtige ruhet niemals. Der Arme und im Geiste Demütige wandelt in der Fülle des Friedens.



VOM NUTZEN DER WIDERSTÄNDE

Gut ist es für uns, daß wir bisweilen Beschwernisse und Widerwärtigkeiten haben. Sie rufen den Menschen zu seinem Herzen zurück.

Gut ist es, daß wir manchmal Widerspruch erleiden und daß von uns Schlechtes und Unzulängliches geredet wird, auch wenn wir gut handeln und Gutes wollen. Das verhilft zur Demut und hält eitlen Ruhm von uns fern.

Was bist du betrübt, weil dir nicht alles gelingt, wie du es willst und ersehnst? Wer ist denn, der alles nach seinem Willen hat? Nicht ich, nicht du, nicht irgendein Mensch auf Erden. Niemand ist in der Welt ohne jede Heimsuchung oder Drangsal, wenn er auch König oder Papst sein sollte.

Es sagen viele Toren und Schwachen: "Siehe, welch gutes Leben hat jener Mensch! Wie reich ist er, wie groß, wie mächtig und erhaben!"

Weder der Reiche noch der Arme, weder der Gesunde noch der Kranke ist ohne Last. Ein jeder hat genug zu tragen. Und wer seinen Rücken darauf vorbereitet und beugt, handelt weise und wird leichter tragen.

Es ist nicht des Menschen Glück, zeitliche Güter im Überfluß zu haben, sondern es genügt ein mittleres Maß. Denn niemals können sie ohne Sorge und Furcht besessen werden.

Sei stark und kraftvoll, sowohl im Handeln wie auch im Erdulden der Widerstände seitens der Natur!

Du mußt einen neuen Menschen anziehen und dich in einen anderen Mann verwandeln.

Du mußt oft tun, was du nicht willst, und was du tun willst, dem mußt du entsagen.

Was andern gefällt, wird Erfolg haben; was dir gefällt, wird nicht weiter von Belang sein.

Was andere sagen, wird gehört werden; was du sagst, wird für nichts gehalten werden.

Andere werden bitten und empfangen; du wirst bitten und nichts erreichen.

Andere werden groß im Munde der Menschen sein; über dich aber wird geschwiegen werden. Anderen wird dieses oder jenes aufgetragen; du aber wirst zu allem für untauglich gehalten.

Deswegen wird deine Natur bisweilen traurig sein. Aber es ist etwas Großes, wenn du schweigend trägst.

Warum betrübt dich schon etwas Geringes, das gegen dich gesagt wurde? Wenn es auch noch mehr gewesen wäre, es hätte dich nicht erregen sollen. Nun aber laß es vorübergehen! Es ist weder das erste Mal noch etwas Neues. Und es wird auch nicht das letzte Mal sein, wenn du lange lebst.

Du bist hinreichend mannhaft, so lange dir nicht Widriges begegnet. Du erteilst auch guten Rat und weißt andere durch Worte zu festigen. Sobald aber plötzlich vor deiner eigenen Tür eine Heimsuchung erscheint, gebricht es dir an Rat und Kraft. Schaffe es, so gut du es vermagst, aus deinem Herzen! Und wenn es dich auch angerührt hat, möge es dich doch nicht niederwerfen noch länger umstrickt halten.

Laßt uns vor den Mühen und Drangsalen nicht fliehen, sondern fest stehen, mannhaft streiten, sorgsam wirken, gerne schweigen! Laßt uns vor den sich erhebenden harten Stürmen nicht zurückweichen, sondern die Hände an die Ruder legen, die Waffen des Geistes ergreifen, den betrübten Sinn aufrichten, von neuem anfangen!



VON DEN VERSUCHUNGEN

Solange wir in der Welt leben, können wir ohne Anfechtung und Versuchung nicht sein.

Wer ihnen nur äußerlich ausweicht, wird wenig Nutzen haben. Im Gegenteil, die Versuchungen werden nur schneller zu ihm zurückkehren, und Schlimmeres wird er spüren.

Der Anfang aller Versuchungen ist die Unbeständigkeit des Geistes. Denn wie ein Schiff ohne Steuermann von den Fluten hierhin und dorthin geworfen wird, so wird der haltlose Mensch, der seinen Vorsatz aufgegeben hat, auf mannigfache Weise versucht.

Wenn du dir nicht Gewalt antust, wirst du das Böse nicht überwinden.

Feuer erprobt Eisen und Versuchung den gerechten Menschen.

Wir wissen oft nicht, was wir vermögen; aber die Versuchung bringt an den Tag, was wir sind. Dennoch muß man wachen, besonders im Anfang, weil der Feind leichter besiegt wird, wenn man ihn nicht bis zur Pforte des Geistes gelangen läßt, sondern ihm, sobald er angeklopft hat, sogleich außerhalb der Schwelle entgegentritt.

Denn zuerst drängt sich der Seele nur ein einfacher Gedanke auf. Daraus wird eine mächtige Einbildung, dann das Vergnügen, die böse Lust und endlich die Einwilligung.

Und so dringt der böse Feind nach und nach ganz in uns ein, wenn ihm nicht im Anfang Widerstand geleistet wird. Und je länger einer lässig ist, zu widerstehen, um so schwächer wird er mit jedem Tage gegen sich und der Feind um so mächtiger gegen ihn.

Durch Feuer und Wasser mußt du schreiten, ehe du zur Erquickung gelangst.

Größere Mühe macht es, den Lastern und Leidenschaften zu widerstehen, als schwerste körperliche Arbeit zu verrichten.



VON DEN GUTEN VORSÄTZEN

Wie unsere Vorsätze, so der Verlauf unseres Fortschreitens. Und großer Fleiß ist dem von Nöten, der im Guten wachsen will.

Wenn nun schon einer, der festen Vorsatz hat, lässig wird, was wird da erst mit dem werden, der sich selten oder minder fest etwas vornimmt! Oft fasse ich Vorsätze. Aber von zehnen führe ich kaum einen aus. Der Worte sind viele, aber der Werke wenige.

Jetzt nimmst du dir vor, auf der Hut zu sein; und schon nach einer Stunde handelst du so, als ob du dir nichts vorgenommen hättest.

Immer muß man sich etwas Bestimmtes vornehmen, besonders gegenüber jenen Dingen, die uns am meisten im Wege stehen.

Wir müssen unser Äußeres und Inneres in gleicher Weise ergründen und ordnen, weil beide unsern Fortschritt fördern.

Wenn du dich nicht beständig zu sammeln vermagst, so tue es wenigstens zuweilen und mindestens einmal am Tage, am besten des Morgens oder des Abends! Am Morgen mache einen guten Vorsatz. Am Abend betrachte deinen Wandel und wie du in Worten, Werken und Gedanken gewesen bist.

Du wirst dich stets deines Abends freuen, wenn du den Tag fruchtbar verbracht hast.

Wer im Geiste sich zu wandeln vornimmt, fängt zu leben an, als sei er in Wahrheit erst heute geboren.



VOM UMGANG MIT DEN MENSCHEN

Nicht jedem Menschen enthülle dein Herz, sondern verhandele deine Sache mit den Weisen und Gottesfürchtigen.

Schmeichele nicht den Reichen, und erscheine nicht gern vor den Mächtigen.

Liebe muß man zu allen haben; aber Vertraulichkeit ist nicht zuträglich.

Zuweilen geschieht es, daß eine unbekannte Person wegen ihres guten Namens hell erstrahlt, daß aber ihre Gegenwart die Augen der sie Betrachtenden enttäuscht.

Wir wähnen zuweilen, andern durch unsern Umgang zu gefallen. Aber wir beginnen, ihnen mehr und mehr zu mißfallen, wenn sie unser ungesittetes Betragen kennen lernen.

Schnell wandeln sich die Menschen und vergehen rasch.

Setze nicht großes Vertrauen auf den gebrechlichen und sterblichen Menschen, auch wenn er nützlich wirkt und geliebt wird. Und empfinde nicht große Trauer, wenn er zuweilen widerstrebt und widerspricht.

Die heute mit dir sind, können morgen gegen dich sein, und umgekehrt, so wie oft ein Lufthauch umschlägt.

Achte sorgfältig darauf, geliebter Bruder, daß du nicht verführt werdest von bösen Gefahrten, die zuchtlos und trügerisch sind. Schließe dich einem tugendhaften, zuchtvollen und wohl unterrichteten Bruder an, von dem du immer ein gutes, trostreiches und der Nachahmung würdiges Wort hörst.

Denn wie kalte Kohle, wenn sie sich dem Feuer verbindet, heiß wird und zu brennen beginnt, also wird oft auch der Laue, der sich dem Glühenden und Demütigen zugesellt, glühend und demütig, gelehrt und willfährig.

Wer ist der Mensch, der sich vorsichtig und umsichtig in allem zu behüten vermag, daß er nicht doch gelegentlich einer Enttäuschung oder Bestürzung verfiele! Wer könnte alles voraussehen, wer zukünftige Übel im voraus verhüten!

Wenn oft selbst Vorhergesehenes verletzt, wie schwer wird nicht das Unvorhergesehene verletzen!

Nützlicher ist es, die Augen von mißfälligen Dingen abzuwenden und es einem jeden zu überlassen, was er denkt, als sich mit Streitenden abzugeben.

Ein guter Umgang eines Menschen trägt in sich Herzensfreude und den Ruf eines berechtigten Lobes. Eitles Frohlocken vergeht schnell im Munde des Lobspenders.

Mehr schadet das schmeichelnde Lob eines Dummen, als der harte Tadel eines Gerechten.



VON DER WISSENSBEGIERDE

Jeder Mensch begehrt von Natur viel zu wissen. Aber was ist alles Wissen ohne die Furcht vor Gott! Besser fürwahr ist ein demütiger Bauersmann, der dem Herrn dient, als ein überheblicher Philosoph, der zwar den Lauf der Gestirne beobachtet, sich selbst aber vernachlässigt. Wenn ich alles wüßte, was es in der Welt gibt, und ich lebte nicht in der Liebe, was würde es mir vor Gott nützen, der mich doch nach meinen Taten richten wird!

Laß ab von dem zu großenVerlangen nachWissen, weil es große Zerstreuung und Enttäuschung bringt. Die Wissenden wollen gerne als Weise erscheinen und auch so genannt werden.

Es gibt vieles, das zu wissen der Seele wenig oder gar nichts nützt. Und sehr unweise ist, der nach anderen Dingen trachtet als nach denen, die seinem Heile frommen.

Viele Worte sattigen die Seele nicht, aber ein gutes Leben erquickt den Geist, und ein reines Gewissen beschert großes Vertrauen auf Gott. Je größer und besser dein Wissen ist, um so strenger wirst du gerichtet werden, wenn du nicht auch heiliger gelebt hast.

Überhebe dich also nicht, weil du irgendeine Kunst oder ein Wissen beherrschst, sondern sei in Furcht vor der dir verliehenen Erkenntnis. Wenn du vieles zu wissen und hinlänglich zu verstehen glaubst, so bedenke, daß es noch viel mehr gibt, was du nicht weißt.

Wolle nicht Hohes wissen, sondern bekenne lieber deine Unwissenheit!

Wozu willst du dich anderen voranstellen, da doch weit mehr Menschen für gelehrter und des Gesetzes kundiger als du befunden werden?

Wenn du etwas mit Nutzen wissen und lernen willst, so liebe es, daß man um dich nicht weiß und dich für nichts achtet.

Wohl dem, den die Wahrheit durch sich selbst belehrt, nicht durch vergängliche Bilder und Worte, sondern wie sie an sich selbst ist. Denn unsere Meinung und unsere Sinne täuschen uns oft und erkennen nur mäßig.

Wo Erkenntnis der Wahrheit, da ist Freude für die aufrechten Herzen.

Wem alle Dinge bewußt sind, wie sie sind, nicht, wie sie genannt oder geschätzt werden, der ist wahrhaft weise.

Große Torheit ist es, das Nützliche und Notwendige zu versäumen und dem nachzujagen, was die Neugierde befriedigt und uns schädlich ist.

Je mehr ein Mensch in sich einig und in seinem Innern einfältig ist, um so zahlreichere und tiefere Dinge sieht er ohne Mühe ein, weil er von oben her das Licht der Einsicht empfängt.

Wärest du innerlich gut und rein, du würdest alles ohne Hemmnis sehen und wohl begreifen. Ein reines Herz durchdringt Himmel und Hölle. Ein lauterer, einfältiger und beständiger Geist läßt sich nicht durch vielerlei Beschäftigungen zerstreuen.

Nicht soll das Wissen oder irgendein schlichtes Erkennen der Dinge, sofern sie als in sich gut befunden werden und von Gott geordnet sind, eine Schmälerung erleiden; aber vorzuziehen ist immer ein gutes Gewissen und ein tugendhaftes Leben. Weil jedoch die meisten sich mehr bemühen, viel zu wissen, als rechtschaffen zu leben, irren sie oft oder tragen fast keine oder nur dürftige Frucht.

O wenn sie doch soviel Sorgfalt darauf verwenden würden, ihre Untugenden auszurotten und Tugenden zu pflanzen, wie Fragen aufzurühren, es würden nicht soviele Übel und Ärgernisse im Volke umgehen. Sicherlich werden wir am Tage des Gerichtes nicht gefragt werden, was wir gelesen, sondern was wir getan haben, und auch nicht, wie gut wir geredet, sondern wie gottverbunden wir gelebt haben.

Wer ist so weise, daß er alles vollständig wissen kann! Vertraue also nicht zu sehr deinem Sinne, sondern höre auch gerne die Meinung anderer. Denn ich habe oft gehört, es sei sicherer, einen Rat zu hören und anzunehmen, als ihn zu erteilen. Und anderen nicht nachgeben wollen, wenn Vernunft und die Sache es fordern, ist ein Zeichen von Überhebung und Hartnäckigkeit.

Niemand erröte, von Älteren unterwiesen zu werden. Wer weise sein und als gelehrt gelten will, bevor er zuhört und wahrnimmt, wird lange dumm zwischen Weisen bleiben.

Wer nicht wie ein guter Schüler auf den Lehrer hören will, wird mit den Mürrischen geschlagen werden wie ein roher Esel.

Es ist köstlich, Gutes zu hören; aber löblicher ist es, das Gute im Werk zu üben.



VON DER LEICHTGLÄUBIGKEIT

Nicht ist jedem Wort oder Gefühl zu trauen, sondern erwäge behutsam und reiflich alles vor Gott!

Wehe, oft wird Schlechtes leichter als Gutes von einem Mitmenschen geglaubt und gesagt. So schwach sind wir.

Aber vollkommene Männer glauben nicht leicht jedem, der etwas ausplaudert, weil sie wissen, daß die menschliche Schwäche zum Schlechten neigt und in den Worten ziemlich schwankend ist.

Dazu gehört auch, das Vernommene oder Geglaubte sogar gleich vor anderen Ohren auszuschütten.

Ein leidenschaftlicher Mensch kehrt auch das Gute zum Bösen, und leicht glaubt er das Böse. Ein guter, friedfertiger Mensch wendet alles zum Guten.

Wenn du von deinem Innern her wandelst, wirst du flüchtige Worte nicht sonderlich wägen.

Durch vieles mußt du mit taubem Ohre gehen und mehr das bedenken, was deinem Frieden frommt.

Wie oft habe ich dort keinen Glauben gefunden, wo ich ihn zu haben glaubte! Wie oft auch habe ich ihn dort gefunden, wo ich ihn nicht erwartete! Warum habe ich so leicht anderen geglaubt? Doch wir sind Menschen. Nichts weiter als gebrechliche Menschen sind wir, wenn wir auch von vielen für Engel gehalten werden.

Jeder Mensch ist lügenhaft, schwach, unbeständig und schwankend, besonders in seinen Worten, so daß wohl kaum geglaubt werden darf, was, ins Gesicht gesagt, richtig zu klingen scheint. Wenigen sich selbst enthüllen ... und sich nicht von jedem Wind der Worte umhertreiben lassen, sondern wünschen, daß alles Innere und Äußere gemäß deinem Wohlgefallen und Willen geschehe.

Siehe, wenn man alles gegen dich reden würde, was man an Bosheit erdenken kann, was schadete es dir, wenn du es gänzlich vorübergehen ließest und es nicht schwerer als einen Strohhalm wögest! Oder könnte es dir auch nur ein Haar krümmen?

Der Betrüger täuscht den Betrüger, der Eitle den Eitlen, der Blinde den Blinden, der Schwache den Schwachen, wofern er ihn erhebt. In Wahrbeit bringt er ihn nur noch mehr in Verwirrung, wenn er ihn töricht lobt.

Das Denken des Listigen erfindet Lügen. Der Geist des Gerechten geht in seinen Angelegenheiten geradeaus.

Hinter erheuchelter Rede verbirgt sich oft eine Irreführung des Freundes.

Ich sah einen Menschen, der seinen Gefährten ins Gesicht hinein lobte und der ihn hinter dessen Rucken übel herabzog.

Ich sah (aber auch) einen, der seinen Freund in Liebe, doch ernsthaft zurechtwies, der ihn dann aber ohne dessen Wissen vor der Öffentlichkeit entschuldigte.

Wenn Wahrheit und Liebe sich begegnen, ziehen sie nach sich, was dem Frieden und dem Heile dient.

Seid auf der Hut und achtet darauf, daß ihr nicht durch Schmeichelworte und eitle Empfehlungen verführt werdet. Eitles Lob schadet oft. Es täuschen süße Worte leichtfertige Gemüter, wie der Vogelfänger, der auf dem Rohr süß bläst, die Vögel täuscht und an sich zieht.

Jedoch ist es eben so nötig, auf der Hut zu sein, daß ihr nicht von denen in Verwirrung gebracht werdet, die euch tadeln, indem sie eure Handlungen verlachen, sie ausschreien und die guten Taten als schlechte auslegen, damit ihr nicht ungeduldig seied im Herzen und hart in Worten erwidert, weil man euch vielleicht durch Schmähungen erproben will.

Nicht alles erbaut, noch frommt es, die Geheimnisse der anderen zu wissen. Oft werden Lügen für Wahrheiten erzahlt.

Hütet euch vor den Menschen! Es gibt nämlich viele, die mit schönen Reden, und, wie ihnen selber scheint, mit geschickten Worten ein leichtes und bequemes Dasein zu empfehlen wissen und den unkundigen Menschen manchmal rechtfertigen und loben, den gut Voranschreitenden aber und den Feststehenden durch dergleichen Reden wankend machen. Nicht gerate meine Seele in ihren Bann, und mein Haus sei weit von ihnen.

Wir sollen uns nicht mühen mit dem Anhören gesprochener Worte noch uns oberflächlich an der Schönheit wohl geformter Sprüche erfreuen, vielmehr sollen wir stets zum Innerlichen streben und hoch über uns das Ewige suchen.



VON DER EINSAMKEIT

"Siehe, ich habe mich fliehend entfernt und blieb in der Einsamkeit."

Warum? Weil aus ihr viel Gutes hervorgeht, und weil ich mich vor den Zerstreuungen des Herzens hüten muß, welche verursacht werden, wenn man viele Dinge sieht und hört.

Was das Auge nicht sieht und das Ohr nicht hört, betrübt das Herz nicht und bringt es nicht so bald in Verwirrung.

Also ist es gut für den Frieden des Herzens, verborgen zu sein und zu schweigen. Dazu verhilft ein abgelegener Ort, an welchem, fern vom Schwarm der Menschen, kein Geräusch mich stört.

Wo Einsamkeit und Schweigen, da ist die Ruhe. Es tritt auch keiner mit Sicherheit hervor, er weile denn gern im Verborgenen.

Die kluge Biene, die den Honig aus den Blüten sammelt, fliegt sogleich davon, sucht freudig die Stille wieder auf und birgt die Ernte sicher in ihrem Stock, damit sie habe, wovon sie während des Winters in der Verborgenheit zehren kann.

So bewahrt sie auch die Süße des Duftes, damit ihr nicht, während sie draußen umherschweift, die Frucht ihrer Arbeit wieder verloren gehe. Kostbare Gerüche duften stärker, wenn sie in einer Büchse verschlossen sind. Die offenen und zur Schau gestellten verlieren bald ihre Kraft.

Auch Blumen werden verletzt, sobald Hände sie berühren. Innerhalb der Umfriedung des Gartens und von hohen Mauern gesichert, bleiben sie geschützt und wohl erhalten. Dort wachsen die Rosen sicher. Dagegen verdorren sie und werden von den Füßen zertreten, wenn man sie auf die Straße wirft.

Ein offen brennendes Wachslicht wird vom Winde schnell ausgelöscht; in einer Leuchte geborgen, wird es behütet.



VON DER BEHÜTUNG DES MUNDES

Bewache sorgfaltig die Worte deines Mundes, damit es dich nachher nicht reut, eilfertig, unnütz und ohne Überlegung gesprochen zu haben. Alles was fälschlich vom Nächsten Böses geredet wird, fällt auf das Haupt des Lästerers zurück.

Wer sich mit vielen unterhält, entbehrt der größeren Behütung, weil von allen beobachtet werden kann, welcher Art die Unterhaltung ist.

Biete niemals Gelegenheit zur Zügellosigkeit durch ausfallende Worte und törichte Zeichen! Denn solche Leichtfertigkeit erzeugt ein doppeltes Übel: den andern gibt sie kein gutes Beispiel, und in dir selbst macht sie die guten Vorsätze zu nichte.

Darin fehlen wir oft, daß wir uns durch das Beispiel und die Äußerungen anderer zu rechtfertigen suchen, als ob uns deshalb etwas erlaubt wäre, weil andere dasselbe tun.

Wie darf es ein Mensch wagen, sich mit den Fehlern eines anderen zu verteidigen, da er doch dadurch um nichts weniger vor Gott sündigt! Warum läufst du blind einem Blinden nach?

Wer über alle fremden Dinge schweigt, hat bei allem den Frieden.

Je weiter sich jemand außerhalb seiner selbst ausbreitet, um so enger wird er innerlich.

Niemand möge sich also dadurch versäumen, daß er auf andere blickt; er sei um sich selbst besorgt und schweige von dem, was ihn nichts angeht.

Wer im Geiste fortschreiten will, hüte sich, viele Fragen zu stellen und lange Geschichten zu weben.

Von Unbekanntem spricht er nicht leicht, und Zweifelhaftem stimmt er nicht sofort bei.

Aber warum reden wir so gerne und erzählen einander, da wir doch so selten ohne Gewissensbisse zum Schweigen zurückkehren? Wir reden darum so gerne, weil wir uns gegenseitig durch Wechselgespräche zu trösten und das von mannigfaltigen Gedanken ermüdete Herz zu erleichtern suchen.

Und sehr gerne belieben wir, über jene Dinge zu sprechen, die wir sehr lieben oder begehren, oder die uns zuwider erscheinen.

Wenn es erlaubt und förderlich ist zu reden, so rede, was erbaulich ist!

Schlechte Gewohnheit und Vernachlässigung unseres Fortschrittes tragen viel zur Unbeherrschtheit unseres Mundes bei.

Wenn du dich allen überflüssigen Reden, müßigem Umherschweifen und Anhören von Neuigkeiten und Gerüchten entziehst, wirst du hinreichend Zeit zu guten Betrachtungen finden.

Je seltener und bündiger ihr zu den Menschen redet, um so sicherer ist es für die Behütung des Herzens und des Mundes. Wenige seien also eure Reden, nützlich und umsichtig.

Wegen eines einzigen unbeherrschten Wortes beschuldigt man euch der Leichtfertigkeit und Unklugheit.

Aus eitlen Worten wächst ein unsteter, schwankender Geist.

Wo langes Geschwätz, da wird die Arbeit vernachlässigt.

Der Müßiggänger und Schwätzer ist selten zerknirscht und selten frei von Vergehen.

Wer wird jenem noch ohne weiteres glauben, der seine Rede schlecht behütet?

Löblich ist der Ruf, sich nur weniger Worte zu bedienen, vor leichtfertigem Gerede auf der Hut zu sein, Nützliches zu sagen und alles mit Bescheidenheit zu tun.

Wenn jemand dich hart anredet oder dich zu Unrecht schilt, so erzürne nicht gleich, noch gib eine harte Antwort, sondern schweige! ... Oder wenn es nötig oder von Nutzen ist zu reden, so antworte gütig und unterweise mit Klugheit. Der Mund des Gerechten und Klugen hält seine Zeit und Art zu reden inne und achtet vorher aufmerksam auf die Person und Natur des anderen, damit er nicht etwa verletzt oder gar unglücklich macht, den er hätte heilen müssen.

Wo harte Worte, da wird das Innerste der Liebe geschädigt.



VON DER WIRKUNG DER WORTE

Ein gutes Wort ist des Lobes wert.

Ein eitles Wort bleibt besser geschwiegen.

Ein mildes Wort bricht den Zorn.

Ein hartes Wort verwirrt das Herz.

Ein bescheidenes Wort gibt Einsicht.

Ein tröstlich Wort ist Goldes wert.

Ein weises Wort ist sehr nützlich zu seiner Zeit.

Ein hastiges Wort verjagt die Freunde.

Ein loses Wort ist der Schande wert.

Ein wahrhaftiges Wort ist ehrenwert.

Ein dienstfertiges Wort ist dankenswert.

Ein vorsichtiges Wort ist sehr köstlich.

Es muß schon ein erbauliches Wort sein, wenn es besser sein soll als Schweigen.

Im Notfall genügen nur wenige Worte. Langes Gerede webt Überflüssiges. Leichtfertige Worte führen zur Eitelkeit. Neugierige Worte bringen Zerstreuung. Harte Worte erregen Verwirrung. Hochfahrende Worte erzeugen Überheblichkeit. Einfältige Worte zeigen Demut. Wahre Worte bereiten Freude. Falsche Worte rufen Entrüstung hervor. Gute Worte verdienen Lob; schlechte verdienen Strafe.

Aus einem einzigen Wort werden viele Worte geboren, und aus einem unbedeutenden Lächeln quillt oft große Zügellosigkeit.

Eine kleine Schmähung erzeugt in beschränkten und unbesonnenen Menschen eine schlimme Wirkung und eine tiefe Wunde.

Gut also und klug handelt, wer alles um sich her versäumt, sich selbst aber behütet, richtet und ordnet. Es kann jedoch einer um so weniger für sich sorgen, je mehr er geneigt ist, auf andere zu achten. Also behütet ein guter Wächter seines Herzens auch sorgsam das Tor seines Mundes. Lobe mit Vorsicht und Maß, wenn du liebst, damit du dich nicht auch selbst täuschest, wenn du über das Geziemende hinaus etwas sagst, worüber du nachher erröten müßtest.

Stehe bei der Wahrheit, und die Wahrheit wird dich von aller Verleumdung und Unbill befreien, die über deine Person verbreitet ist.

Wer gut lebt, lehrt auch gut. Ein getreuer Bote verschweigt, was schadet, und teilt mit, was nützt. Er kennt keine Erdichtungen.

Lauter ist die Wahrheit, angenehm das Wort. Gar zu kluges Reden schadet jedoch besonders den Kleinen. Ihnen und den noch Unverständigen ist es sehr zuträglich, wenn ihnen nur einfältige Worte vorgesetzt werden. Die fein gewebten schaden nur.

Ein schweres, kräftiges Mahl ist Kindern und Kranken nicht zuträglich. Linde Speise und zarter Trank ernähren sie.

Lautes Geschrei gleicht harten Donnerschlägen und erschrickt schwache Gemüter mehr, als es ihnen wohltut.

Häufige Blitze blenden die Augen. Aber das Licht in der Laterne erhält die Schärfe des Sehens.

Ein kluger Richter ist allen Lobes wert. Wer hart ist und ohne Erbarmen, verdient keine Barmherzigkeit. Ein zorniger Geist quält sich selbst am meisten, peinigt nur zu oft Unschuldige, flucht im geheimen den Mächtigen und verlacht offen jene, die Gutes tun. Wer hinterhältig in seinen Reden ist, hintergeht jene, die ihm glauben. Deshalb wird er wenige Freunde haben.

Gut ist es, Übles zu verschweigen, heilig, Wahres vorzubringen, vernünftig, sich bescheiden zu verhalten. Gerecht ist es, keinen Schaden anzurichten, gottesfürchtig, allen nützlich zu sein, fromm, durch Worte und Benehmen andere zu erbauen. Der Kluge überlegt vorher, was er tun will, und trachtet nicht ohne Grund nach Neuem, und seine Werke ziehen ihn nicht zu Begierden sündiger Lust, sondern er selbst lenkt sie gemäß seiner rechten Vernunft.



VOM SCHWEIGEN

Ein großes Gut für den Frieden des Herzens ist das Schweigen des Mundes.

Des Toren Mund ist fast stets geöffnet und dem Streite nahe.Viele schöne Worte füllen den Sack nicht, noch heiligt eine beredte Sprache den Müßigen und Ehrgeizigen.

Ich wollte, daß ich öfter geschwiegen hätte und nicht unter Menschen gewesen wäre.

Jemand sagte: So oft ich unter Menschen war, kehrte ich als ein minderer Mensch zurück. Das erfahren wir öfters, wenn wir lange miteinander schwätzen.

Leichter ist es, vollends zu schweigen, als sich im Reden nicht zu übernehmen. Leichter ist es, daheim verborgen zu sein, als sich draußen hinreichend zu behüten.

Keiner redet sicher, er schweige denn gern. Keiner kann sicher befehlen, er habe denn gut gelernt zu gehorchen.

"Vorsichtig sollst du sein", sagte jemand, "vorsichtig sollst du sein! Behalte für dich, was ich dir sage!" Und während ich schweige und an die Geheimhaltung glaube, kann er nicht verschweigen, was zu verschweigen er gebeten hat, sondern er verrät stehenden Fußes sich und mich und geht seiner Wege.

O wie gut und friedfertig ist es, über andere zu schweigen, nicht alles ohne Unterschied zu glauben und es nicht leichthin auch noch weiterzusagen.

Der innerliche Mensch stellt die Sorge um sich selbst allen anderen Sorgen voran. Und wer auf sich selbst sorgsam bedacht ist, schweigt leicht über andere.

Wenn ihr nicht weise zu reden versteht, bemüht euch doch, bescheiden und demütig zu schweigen!

Es sprach ein Freund des Schweigens: "Selten rede ieh lange mit den Menschen, ohne mein Gewissen zu verletzen." Ein anderer sagt: "Ein Wort ist vortrefflich, wenn es zur rechten Zeit ausgesprochen wird." Und ein dritter fügt hinzu: "Wer seinen Mund fest schließt, setzt niemanden herab und lügt nicht."

O wie lobenswert ist ein Wort, dem nichts Böses, nichts Eitles, nichts Listiges und nichts Falsches beigemischt ist.

Viele reden Vieles, aber nicht ohne Gefahr für die Zunge, die zum Bösen neigt. Darum hat viel Frieden, wer seinen Mund bewacht.

Wer vermessen redet, wird von vielen getadelt. Wer aber bescheiden schweigt, verdient den Dank der Anwesenden.

Ein wohl unterrichteter und verschwiegener Mund ist wie ein gediegenes Gefäß, mit Gold geziert, voll Salböl, duftend von Balsam und jeder Ehre würdig.

Wenn du infolge langer Unterhaltungen zerstreut bist, sammele dich wiederum in langem Schweigen, indem du in der Stille allein bleibst.



VON DEN WERKEN AUS LIEBE

Eine edle Tugend ist die Liebe. Sie überragt alle Tugenden, alles Wissen, alle Gaben.

Wie das Feuer die Hölzer verzehrt, so löscht die Liebe die Laster aus.

Sie regt den Mund des Menschen an, Gott zu loben, die Hände zum Wirken, die Füße zum Wandeln, die Augen zum Betrachten, das Gedächtnis zur Erinnerung, die äußeren Glieder zum Dienen, die inneren Gaben, Gott über alle Güter im Himmel und auf Erden zu lieben.

Die Liebe tilgt in einer demütigen Seele vergangenes Übel und festigt sie gegen zukünftiges. Sie unterrichtet über Gegenwärtiges, befreit von vielen Zweifeln, verhindert den Vorwitz, nimmt Überflussiges hinweg, schließt Eitles aus, stellt Falsches bloß, haßt das Häßliche, mildert das Harte, erhellt das Dunkle, ordnet alles innen und außen.

Für nichts in der Welt und auch nicht aus Liebe zu einem Menschen darf man irgend etwas Schlechtes tun. Aber um einem Armen zu helfen, muß man zuweilen ein gutes Werk freiwillig unterlassen. Denn dadurch wird es nicht zerstört, sondern in ein besseres verwandelt.

Ohne die Liebe nützt ein äußerliches Werk nichts. Was immer aber aus Liebe getan wird, sei es auch noch so gering und unscheinbar, wird durch und durch fruchtbar. Denn auch Gott wagt mehr den Grund, aus welchem jemand handelt, als das Werk, das er verrichtet.

Viel tut, wer viel liebt. Viel tut, wer eine Sache recht tut. Recht tut, wer mehr der Gemeinschaft als seinem eigenen Willen dient.

Oft scheint etwas Liebe zu sein und ist mehr sinnenhafte Selbstsucht, weil der Naturtrieb, der Eigenwille, die Hoffnung auf Lohn und das Verlangen nach Wohlbehagen dabei selten fehlen wollen.

Wer die wahre und vollkommene Liebe hat, sucht in keiner Sache sich selbst.

Die Liebe macht Sünder zu Gerechten, Sklaven zu Freien, Feinde zu Freunden, Fremdlinge zu Bürgern, Unbekannte zu Vertrauten, Unstete zu Seßhaften, Böse zu Sanftmütigen, Laue zu Erglühenden, Traurige zu Frohen, Geizige zu Freigebigen, Ungelehrte zu Weisen.

Die Liebe hat sehr breite und lange Flügel; sie fliegt über Cherubim und Seraphim und über alle Chöre der Engel. Sie verbindet das Höchste mit dem Niedrigsten, schreitet über die Mitte hinweg und führt zum Höchsten zuruck. Einen macht sie aus vielen. Sie erfreut alle und die Einzelnen.

Ein inbrünstig liebender Mensch ist zu allem bereit.

Die Liebe ist niemals müßig. Sie wirkt Großes und Erhabenes; aber sie neigt sich auch gern zu Niedrigem und von der Höhe Herabgeworfenem. Sie schreckt nicht davor zurück, die Wunden der Kranken zu berühren, die Füße zu waschen, die Betten zu breiten, die Gewänder zu reinigen, die Schmutzigen zu säubern.

Die Liebe umschreitet Himmel und Erde, das Meer und das trockene Land.

Alles, was sie sieht und hört an den Geschöpfen, wendet sie zum Lobe und Ruhm des Schöpfers. Nichts ist so klein und gering in der Natur der Dinge, daß darin nicht leuchte die Güte des Seins, das Werk des Meisters, die Macht des Schöpfers, die Weisheit des Ordners und die Vorsehung dessen, der alles auf das Beste lenkt.



VON DER BETRACHTUNG DES TODES

Alles geht vorüber und du desgleichen.

Sehr schnell wird es um dich hier geschehen sein. So siehe zu, wie du dich anders hältst. Heute ist der Mensch; und morgen erscheint er schon nicht mehr. Wenn er aber aus den Augen entrückt ist, schwindet er auch sogleich aus dem Sinn.

O der Lieblosigkeit und Härte des Menschengeschlechtes, das nur das Gegenwärtige erwägt und das Zukünftige nicht besser vorausbedenkt! All so solltest du dich bei all deinem Tun und Denken verhalten, als ob du heute noch sterben würdest.

Wenn du ein gutes Gewissen hättest, würdest du den Tod nicht so sehr fürchten.

Wenn du nicht heute bereit bist, wie wirst du es morgen sein?

Morgen ist ein ungewisser Tag, und wie weißt du, ob du ein Morgen haben wirst?

Was nützt es, lange zu leben, da wir uns doch so wenig bessern!

Ach, ein langes Leben bessert nicht immer, sondern mehrt oft die Schuld.

O, daß wir doch nur einen einzigen Tag in dieser Welt gut gewandelt hätten!

Wenn es auch erschreckend ist zu sterben, gefährlicher ist es vielleicht, länger zu leben.

Glücklich, wer die Stunde des Todes immer vor Augen hat und sich zum Sterben täglich bereit hält!

Wenn du einmal einen Menschen hast sterben sehen, bedenke, daß auch du auf demselben Wege hinübergehen wirst.

Wenn jene letzte Stunde kommt, wirst du anfangen, völlig anders über dein ganzes verflossenes Leben zu denken, und du wirst sehr bedauern, daß du so nachlässig und träge gewesen bist.

Wie glücklich und klug ist, wer so zu leben sich jetzt bemüht, wie er wünscht, im Tode befunden zu werden!

Viel Gutes kannst du wirken, so lange du gesund bist. Aber was du als Kranker vermögen wirst, das weiß ich nicht.

Wenige werden durch Krankheit besser, wie denn auch jene, die viel wallfahrten, selten heilig werden.

Vertraue nicht auf deine Freunde und Verwandte, noch verschiebe dein Heil auf die Zukunft. Denn die Menschen vergessen deiner schneller, als du glaubst. Besser ist es, jetzt bei Zeiten vorzusorgen und etwas Gutes vorauszuschicken, als auf die Hilfe anderer zu hoffen.

Wenn du nicht bald um dich selbst besorgt bist, wer wird es in Zukunft für dich sein!

Es wird so kommen, daß du nur einen Tag oder nur eine Stunde für deine Besserung herbeisehnen wirst, und ich weiß nicht, ob du sie erlangst.

Ach, du Tor, was denkst du lange zu leben, da du keinen Tag sicher hast! Wie viele sind betrogen und unverhofft aus dem Leben gerissen worden! Wie oft hast du sagen hören, daß dieser durchs Schwert gefallen und jener ertrunken ist, daß dieser, aus der Höhe stürzend, das Genick brach oder beim Essen erstickte oder während des Spiels sein Ende fand! Andere sind durch Feuer, durch Waffen, durch die Pest oder durch Mord umgekommen. Und so ist das Ende aller der Tod. Und das Leben der Menschen vergeht plötzlich wie ein Schatten.

Glücklich die Seele, die oft an die letzte Stunde denkt, in der alles vergehen wird, was in diesem Leben an Freude und Traurigkeit, an Ehrungen und Tadelnswertem gewesen ist.

In jener letzten Stunde werden vor den Augen alle Castelle, Landhäuser und Städte vergehen, alle silbernen und goldenen Gefäße, alle üppigen Gerichte und die mannigfachen Becher mit Gerüchen versüßt. Ebenso werden von dir weichen Leier und Horn, Flöte und Zither, jegliches Spiel, jeglicher Scherz und alles Lachen, Tanz, Beifall und Geschrei auf den Straßen und in den Häusern, weil die Herzen aller ins Nichts geführt werden. O wie weise ist, wer dieses täglich erwägt!

Bedenke, du vornehmer und reicher Mann in deiner Üppigbeit, wie du nach dem Tode in der Erde begraben sein wirst. Was werden dann alle Reichtümer nutzen?

Siehe, heute lebt und herrscht der König, und morgen wird er nicht mehr gefunden noch gehört. Heute sitzt er auf hohem Throne und ist mit einem goldenen Gewand bekleidet; und morgen wird er unter der Erde begraben und nicht mehr gesehen. Heute wird er von vielen geehrt, und morgen kümmert sich keiner mehr um ihn. Heute wird er von allen hoch gepriesen; und morgen werden ihm Reichtümer und Ehrungen, Castelle und Landhäuser geraubt. Heute ist er wegen seiner ansehnlichen Gestalt in die Augen fallend vor den Söhnen der Menschen und unter der Zahl der Könige; und morgen ist er eine Speise der Würmer und ein Gestank für die Nase.

Wie ein Nackter tritt er in die Welt. Und so geht er arm und ausgestoßen ins Grab.

Denn alle Genüsse und alle Pracht der Welt haben ein schnelles Ende. Tod und Schmerz, Trauer und Furcht befällt alle.

Es stirbt der Herr Papst und der Kardinal; und ihnen folgen die anderen im Tode schnell nach. Denn niemand ist auch nur eines einzigen Lebenstages sicher. Auch kann er vom Papst keine Bulle erwirken, daß er nie zu sterben brauche, noch für Geld als Präbende erlangen, daß er immerzu auf der Erde bleiben kann.

Oft nämlich, wenn ein Lehen oder eine Prälatur (Amt bzw. Wohnung eines höheren geistlichen Würdenträgers) erlangt ist, kommt der Tod und nimmt alles zugleich hinweg. Und so geschieht es, daß er so arm und nackt aus Rom weicht, wie er vorher zur Kurie (päpstlicher Hof) gekommen ist.

Man kann in Büchern von vielen alten Vätern lesen, die sehr lange gelebt haben. Dieser ist gewesen, und jener ist gewesen, heißt es da, und so von allen folgenden; doch zum Schluß: Und er ist gestorben!

Denn wir alle sterben und versinken gleich dem Wasser in die Erde, aus der wir gemacht sind. Wo befinden sich deine Gefährten, mit denen du gespielt und gelacht hast? Ich weiß es nicht. Sie gingen dahin und ließen dich zuruck. Wo ist, was du gestern noch sahst? Entschwunden! Wo ist, was du gegessen und getrunken hast? Alles verging.

Denn alles ist hinfällig und eitel in der Welt. Viele faulen schon in den Gräbern, die noch lange zu leben meinten. Und es sind aus dem Gedächtnis der Menschen entschwunden, die im Munde aller waren.

Die Welt verehrt die Anwesenden. Die Abwesenden kennt sie nicht, und die Toten läßt sie im Stich.

Was ist die ganze Zeit unseres Lebens anders als etwas, das nur kurz gegenwärtig ist, als sei es nur ein Windhauch oder ein Morgenrot, das in der Frühe vorübergeht, oder ein Gast, der nicht wiederkehrt.

Wie ein Blitz vom Himmel in einem Augenblick, so vergehen alle Königreiche und Zeiten.

Zähle alle Stunden, Tage, Monate und Jahre deines Lebens und sage, wo sie jetzt schon sind!

Sie sind vorübergezogen wie ein Schatten der Sonne und sind vergangen wie das Gewebe einer Spinne. Ein Wind wehte, und ihr Werk ist vernichtet. Nichts also ist beständig und von Dauer auf Erden. Alles ist eitel und zerbrechlich, mag es in der Welt auch noch so stattlich und kostbar sein.

Darum mögen Verlockungen dich nicht täuschen, noch Beleidigungen dich zerbrechen.

Wie sehr auch etwas mit Farben geschmückt oder mit Gold und Silber und kostbaren Edelsteinen geziert sein mag, es wird wertlos und verdorrt, wenn es tot und begraben ist.

Bei allem, was du treibst, und an welchem Ort du auch sein magst, sei eingedenk deines Endes und der letzten Stunde, die du nicht kennst.



VOM STRENGEN GERICHT GOTTES, WO UNS ALLE GESCHÖPFE ANKLAGEN WERDEN

Wir wissen nicht, Bruder, wie Gott uns richten wird. Doch fürchte ich, daß unsere Ankläger zahlreiche und schwere Beschuldigungen gegen uns vorbringen werden, an die wir jetzt kaum denken. Doch wer sind diese Ankläger? Es sind ihrer gewiß sehr viele, von denen nur einige aufgezählt werden sollen.

Anklagen werden uns die Elemente und alle Geschöpfe des Himmels und der Erde, weil wir dem Schöpfer für die empfangenen Wohltaten und die zahlreichen Dienste, die sie uns zum Nutzen leisteten, unseren schuldigen Dank nicht mit der ganzen Wärme unserer Herzen abgestattet haben, wie es entsprechend den uns von Gott verliehenen Kräften geziemend und notwendig gewesen wäre. Da wir gesund zu sein scheinen und unsern täglichen Unterhalt von unsern Versorgern entgegennehmen, ohne uns weiter darum kümmern zu brauchen, außerdem aber auch unentgeltliche Gaben gern empfangen, sind wir gleichsam als Tischgenossen des himmlischen Königs Gott noch mehr verpflichtet.

Das Feuer wird reden und gegen unsere Lauheit und Undankbarkeit ausrufen:
"Auf meines göttlichen Schöpfers Geheiß stehe ich euch an vielen Stätten bei. Wie ein getreuer Knecht diene ich ohne Entgelt den Gesunden und Kranken in der Küche, in der Backstube, im Brauhaus, im Waschhaus und im Bethaus. Und so oft es notwendig ist, biete ich mich willig allen an, die sich wärmen wollen. Mit der mir verliehenen Kraft verbrenne ich Stroh und Rasen, Steine und Hölzer. Ich trockne Feuchtes aus und erwärme Kaltes. Ich erweiche Hartes und härte Weiches. In verschiedenen Stoffen bringe ich Gegensätzliches hervor, gemäß der wunderbaren Gotteskraft, die den Naturgesetzen aufgeprägt ist, damit ihr euren Nutzen davon habt.
Im Winter wärme ich eure Hände und Füße. Ich zünde Kerzen an, verscheuche die Finsternis und gebe den Augen die Klarheit des Lichtes. Was hätte ich noch tun sollen und habe es nicht getan? Antwortet meinem Schöpfer, wenn ich mich geweigert habe, seinem Befehl zu gehorchen! Ohne Widerspruch habe ich an Guten wie an Bösen getan, was immer mein Herr und Schöpfer mir aufgetragen hat.
Den Guten und Gerechten leuchte ich zu ihrem Heil. Den Bösen und Undankbaren hingegen brenne ich zur Strafe. Und wenn es Gott in seinem Zorn befiehlt, verbrenne ich Städte, Häuser und Kriegslager. Ich brandschatze Reiche und Arme ohne Ansehen der Person und lege alle Freude, Schönheit und Üppigkeit der Welt in Asche. Aber ich selbst bleibe unversehrt in der Gestalt, die mir von Natur eigentümlich ist."

Die Luft wird aussagen:
"Ich schenke gutes, heiteres Wetter, damit die Menschen angenehm umherwandeln, geistvoll arbeiten, ersprießlich säen und die reifen Früchte in Kammern und Scheunen sammeln können.
Weil sie aber die ihnen verliehenen Güter oft zu eitlem Streben und zu unerlaubtem Gewinn mißbrauchen, erzürnt sich Gott über ihre Bosheiten und zwingt mich plötzlich zu schrecklichen Verheerungen auf dem Lande und dem Meere, an den Bäumen und dem Vieh, an den Kriegslagern und Städten, an den Äckern und den heiligen Häusern. Denn an einem bis dahin hellen Tage, da keiner es erwartet, erhebe ich die Wolken, rühre die Winde hervor, entsende die Blitze, erzeuge den Donner, errege das Unwetter, wühle das Meer auf, schleudere Hagelschlossen herab, lasse den Regen strömen, erschüttere die Erde, reiße Bäume aus, stürze Häuser ein und zeige erschreckend Gottes wunderbare Gewalt auf dieser niedrigen Erde."

Das Wasser wird aussagen:
"lch befeuchte die Erde mit Regen, bringe Quellen und Flüsse hervor, ernähre Fische von mancherlei Art, trage Schiffe und Galeeren mit vielen Schätzen beladen sicher auf meinem Rücken, befördere sie, vom Winde getrieben, in entlegene Länder und zeige zahllose Wunderwerke Gottes den Vielen, die das Meer und andere Gewässer befahren, auf daß sie frohlockend seine Werke verkünden und ihm lobpreisend Dank sagen, wenn sie, aus großen Gefahren errettet, in den Hafen gelangt sind.
Da aber Vergehen ihre Strafen fordern und Gott beleidigt ist, erschüttere ich oft die Schiffe im Sturm und zertrümmere sie. Oft ertränke ich Menschen, verschlinge Mengen von kostbaren Dingen und senke Gold und Silber, dem die Menschen vertrauen, wie Straßenschmutz in die Tiefe, auf daß die habgierigen und überheblichen Großen, welche die Armen unterdrücken und die Unschuldigen betrügen, über ihren Reichtum nicht frohlocken, noch ihre Hoffnung auf irdische Dinge setzen, sondern auf den lebendigen Gott.
Ich wasche die Hände und Füße der Heiligen und diene den Bösen und Undankbaren in vielem: den Durstenden gebe ich zu trinken; ich fülle die Brunnen und Gräben; ich beseitige den Schmutz und mache die Gewänder weiß. Und zu mannigfacher Verwendung reiche ich Menschen und Tieren süße Becher Wassers aus Quellen und Flüssen.
Also sind zu großem Dank gegen Gott alle verpflichtet, welche Wasser in Fülle haben und Fische in den Netzen fangen.
Die aber am Wein und mancherlei Bechern sich berauschen und den Armen nur wenig oder gar nichts zukommen lassen, werden mit den Reichen in der Hölle gepeinigt werden."

Die Erde wird aussagen:
"Ich unterhalte Menschen und Tiere. Ebene Wege und gerade Pfade durch Felder und Haine biete ich den Wanderern. Berge und Hügel lasse ich als Zufluchtsstätten erstehen, damit die Wasser nicht vorherrschen. Ich ernähre Baume, Gräser und vielerlei Kräuter. Reben und Ölbäume, Feigen und Granatäpfel, Birnen und Nüsse, Mandeln, Bohnen und Erbsen, Gerste und Weizen, Rosen, Lilien und Veilchen bringe ich hervor; und Jahr für Jahr beschere ich denen, welche die Erde bebauen und abernten, die gewohnten Ertrage.
Und für alle die Wohltaten, die ich den Menschen reichlich spende, wünsche und verlange ich nichts weiter, als daß allüberall die Nationen der Erde, die Inseln der Völker Gott erkennen und verehren, ihn preisen, loben und anbeten und ihn über alle sichtbaren und unsichtbaren Güter lieben, ehren und erheben, solange sie leben, anbeten, atmen, auf der Erde wandeln, graben, pflanzen und bauen.
Auch nehme ich nach dem Tode des Fleisches die Körper der Toten in meinen Schoß wie eine Mutter ihre Söhne, die des Lebenslichtes beraubt sind. Denn aus Erde sind sie gemacht, und zur Erde kehren sie alle zurück wie zu ihrer Mutter oder auch wie zu einer Herberge, die allen sterblichen Pilgern gemeinsam ist.
Sobald nämlich jemand der Welt nicht mehr von Nutzen und vom Alter erschöpft, im Kriege getötet, von Krankheit ergriffen oder im Antlitz entstellt ist und ihn niemand mehr in seinem Hause behalten oder auf seinem Lager betreuen mag, dann kommen Freunde und Nachbarn ohne Zaudern zu mir gelaufen, heben die Grube aus, führen mir den Verstoßenen zu und bergen ihn unter meinem schützenden Dach aus Erde.
Und den sie in seinem Leben geliebt, hoch gelobt und geehrt hatten, meiden sie im Tode, halten sich die Nase zu, schaudern, ihn zu betrachten und weichen vor ihm zurück.
Ich aber, die von Gott geschaffene, mitleidvolle Erde, schrecke weder vor einem Toten zurück, mag er auch elendig wie Lazarus sein, noch vor einem mit Wunden bedeckten, noch vor einem verwesenden Menschen und verachte ihn auch nicht.
Ich öffne vor dem Armen und Reichen ohne Unterschied die Stätte des Grabes. Und wenn inzwischen die Lebenden um einen ehrenvollen Begräbnisort streiten, die Toten schweigen dazu und widersprechen ihnen nicht.
Alle Könige der Erde, alle Fürsten, alle Führer, Grafen, Barone, Offiziere, Adelige, Nichtadelige, Bischöfe, Äbte, Doktoren, Gesetzeskundige, Priester, Kleriker und Laien schließe ich in enger Hütte ein und bewahre sie, bis zum Jüngsten Tage die Posaune erschallt.
Denn dann muß ich die Leiber, die in den Gräbern schlummern, wieder herausgeben. Und dann kann ich keinen mit Gewalt zurückhalten oder durch Bitten oder für ein Lösegeld vor dem Angesicht des Richters länger verbergen, oder ihn mit Waffen verteidigen.
Dort kann sich keiner entschuldigen, noch an eine kaiserliche Hoheit appellieren, noch mit apostolischen Briefen oder königlichen Privilegien gegen den Urteilsspruch des Richters sich schützen, der von Ewigkeit her alles sieht und die verborgensten Gedanken und die Werke jedes Einzelnen in jeder Zeit und Stunde mit klarer Einsicht erkennt, ohne daß ihm jemand darüber berichtet."

Darum gebe der barmherzige Gott, daß wir jetzt und immer Erbarmen finden vor dem Throne seiner Huld, damit wir würdig werden, mit den Auserwählten glückselig in das Reich der Herrlichkeit einzugehen.



VOM EWIGEN LOBE GOTTES

Gott, der Ewige, Unermeßliche und unendlich Mächtige schafft Großes und Unerforschliches im Himmel und auf Erden. Unmöglich ist die Ergründung seiner wunderbaren Werke.

Lobe deinen Schöpfer, der dich zu einem Menschen und nicht zu einem Tier gemacht hat. Und wenn er dich auch zu einer Fliege gemacht hätte, so hätte er dennoch gut getan und wäre zu loben.

Nicht kann sich der Löwe gegenüber der Fliege und Mücke seiner Stärke rühmen; denn wenn der Löwe auch lauter brüllen kann, so kann er doch nicht so hoch hinaufsteigen wie eine Fliege.

Darum sei kein Wettstreit zwischen den Großen und Kleinen, den Reichen und Armen, den Starken und Schwachen, den Weisen und Einfältigen, den Herrschenden und Dienenden. Laßt uns alle in gleicher Weise Gott den Herrn loben, der jegliche Kreatur mit einer wunderbaren Schönheit und Mannigfaltigkeit zum Lobe und Ruhme seines Namens erschaffen hat.

Wenn alle Instrumente der Musiker ertönten und nicht zum Lobe Gottes erklängen, sie würden vergeblich zusammenspielen.

Wenn du gesund und stark bist, lobe und sage Dank, weil Gott dir die Kräfte gegeben hat, daß du arbeiten und andern dienen kannst und deine Zeit niemals in Müßigkeit zu vertun brauchst.

Wenn du im Garten oder im Obsthof bist und siehst die verschiedenen Arten der Bäume, die Rosen und anderen Blumen, die Birnen und Äpfel, die Triebe der Kräuter und die duftenden Lilien, so lobe und sage Dank, weil Gott dir seine zahlreichen, wunderbaren Werke zeigt, die auf der Erde sprießen und die er in jedem Jahre mit seiner bewundernswerten Kraft und Weisheit zu ihrem großen Segen und zum Nutzen der Menschheit erneuert.

Siehe, die Vögel des Himmels singen, die Fische schwimmen, die Hunde bellen, die Rinder brüllen, und alle Elemente regen sich zum Lobe des Herrn und bekunden durch ihre natürlichen Bewegungen die Herrlichkeit des Schöpfers.

Darum habe in allem, was du tust, Gott vor deinen Augen und beschließe jedes deiner Werke bis in dein Herz hinab mit einem Dank zu Gott!